Autolose Mobilität & ÖPNV – Entlastung der Straßen oder systemischer Stillstand?
Die Transformation urbaner Mobilität zählt zu den zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Auch in Pforzheim wird das Thema häufig diskutiert – jedoch weitgehend ohne substanziellen Fortschritt. Im Zentrum der Debatte steht der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV), dessen strukturelle Defizite seit Jahren offensichtlich sind. Die Ursache liegt in einer strategisch problematischen Entscheidung: der teilweisen Privatisierung des kommunalen Busbetriebs – mit weitreichenden Folgen für die Bürgerschaft.
Ein Desaster mit Ansage: Die systemische Erosion des Pforzheimer ÖPNV
Bis 2006 wurde der städtische Busverkehr durch die Stadt Pforzheim (SVP) selbst betrieben – ein Modell, das zumindest grundlegende Versorgungssicherheit bot. Mit dem Verkauf eines Teils der Flotte an Veolia begann jedoch eine Entwicklung, die sich retrospektiv als strategischer Fehler erweist. Nach dem Rückzug Veolias übernahm DB Regio 2015 den Betrieb. Bereits 2016 folgte ein drastischer Einschnitt: Viele Beschäftigte verloren ihren Arbeitsplatz oder mussten massive Lohneinbußen hinnehmen.
Heute ist der ÖPNV in Pforzheim strukturell unterversorgt. Die Taktdichte wurde reduziert, Fahrpläne sind unzureichend aufeinander abgestimmt, und in Spitzenzeiten sind die Fahrzeuge regelmäßig überfüllt. Der Grund: Die vertragliche Grundlage zwischen Stadt und Betreiber basiert auf Datenmaterial aus den frühen 2000er-Jahren – eine Planungsbasis, die den realen Mobilitätsbedarf einer modernen Stadtgesellschaft längst nicht mehr entspricht.
Stillstand statt Strategie: Die unterlassene Mobilitätswende
Im Jahr 2026 steht die Neuvergabe des Busbetriebs an. Doch bislang ist weder eine Rückführung in kommunale Hand noch ein wettbewerblicher Vergabeprozess mit klaren Qualitätskriterien in Sicht. Diese konzeptionelle Leerstelle offenbart einen eklatanten Mangel an strategischer Planung. Angesichts wachsender Herausforderungen – vom Klimawandel über steigende Energiepreise bis hin zur Verkehrsüberlastung – ist dieser Zustand nicht länger tragbar.
Ein leistungsfähiger ÖPNV stellt das Rückgrat einer nachhaltigen urbanen Mobilitätsstrategie dar. Was fehlt, ist ein systemischer Transformationsansatz – ambitioniert, technologisch innovativ und sozial inklusive.
Zehn Impulse für eine zukunftsfähige Mobilität in Pforzheim
Eine wissenschaftlich fundierte, progressive Mobilitätswende erfordert ein strukturiertes Maßnahmenpaket. Der folgende 10-Punkte-Plan skizziert zentrale Handlungsfelder:
1. Rekommunalisierung des Busverkehrs: Gründung einer neuen städtischen Betreibergesellschaft „Goldstadt Linien GmbH“.
2. Ausbau des Liniennetzes: Bedarfsgerechte Erschließung auf Basis datenbasierter Analysen realer Mobilitätsströme.
3. KI-gestütztes Fahrplanmanagement: Dynamische Taktung und Echtzeitoptimierung durch intelligente Algorithmen.
4. Digitalisierung der Infrastruktur: Kostenloses WLAN („Goldtown City-Net“) in Fahrzeugen und an Haltestellen.
5. Tarifliche Fairness: Soziale Staffelung durch günstige Pauschalen – nahezu kostenfrei für Schüler, Studierende und Senior*innen.
6. E-Bus-Offensive: Elektrisch betriebene Hochfrequenzlinien mit moderner Fahrzeugtechnologie.
7. Fahrradschnellwege („Goldtown Bike Ways“) mit App-Navigation: Sichere, direkt geführte Routen für Pendler und Freizeitverkehr.
8. Zugangsgerechtigkeit: Förderprogramme für einkommensschwache Gruppen – z.B. Die sonst kein Jobrad gefördert bekämen.
9. E-Bike-Hubs mit Servicefunktionen: Ladepunkte, Reparaturstationen und Komfortangebote an strategischen Knotenpunkten.
10. Fahrradmitnahme in Bussen: Kostenfrei im Ticket enthalten – barrierefrei und alltagstauglich.
Mobilitätsinnovation durch E-Busse und ART-Züge
Die Dekarbonisierung des Verkehrssektors verlangt eine konsequente Elektrifizierung der kommunalen Flotten. Während E-Busse bereits marktreif sind, bieten sogenannte Autonomously Rapid Transit (ART)-Züge ein zukunftsweisendes Potenzial. Diese neuartige Fahrzeugklasse – elektrisch betrieben, autonom navigierend, ohne Schieneninfrastruktur und aufladbar über induktive Systeme an Endhaltestellen – ermöglicht hochfrequente, schienennetzunabhängige Mobilitätsangebote. Bis zur regulatorischen Zulassung dieser Technologie sollten vollelektrische Busse auf sämtlichen Linien zur Anwendung kommen.
Mobilität 2.0: E-Bike-Infrastruktur als integraler Bestandteil
E-Bikes haben die Mobilität urbaner Gesellschaften revolutioniert. Ihr Potenzial entfaltet sich jedoch nur durch eine adäquate Infrastruktur. Moderne Lade- und Servicepunkte mit Aufenthaltsqualität (Sitzgelegenheiten, Snack-Automaten, Fahrradstationen) steigern die Nutzung und unterstützen den Modal Shift. Hier hinkt Pforzheim im interkommunalen Vergleich deutlich hinterher.
Gezielte Investitionen in diese Bereiche würden nicht nur die ökologische Bilanz der Stadt verbessern, sondern auch deren Attraktivität als Lebens- und Wirtschaftsstandort signifikant erhöhen. Denn moderne Mobilität ist ein zentraler Standortfaktor – sowohl für Bürgerinnen und Bürger als auch für zukunftsorientierte Unternehmen.
Zeit für einen paradigmatischen Neuanfang
Mobilität war nie Selbstzweck – sie ist Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklung, technologischer Innovation und politischer Entschlossenheit. Bertha Benz hat einst bewiesen, dass Fortschritt Mut verlangt. Die Frage ist daher nicht, ob Pforzheim eineMobilitätswende braucht, sondern wann es den Mut aufbringt, sie endlich konsequent zugestalten.